Kommentar: Die «brachiale» Fundgeschichte
Nach Meinung der Wissenschaftler, die die Scheibe untersucht haben, und wohl
auch nach Meinung der beteiligten Landeskriminalämter, wurden die Deformationen
der Scheibe hauptsächlich von den Findern verursacht. Ich kenne die Aussagen
der Finder nicht - insofern mögen meine diesbezüglichen Überlegungen
zum Teil irrig sein - doch offenbar sagen die Finder etwas anderes aus, als den
Vorstellungen von wissenschaftlicher Seite über den Fundvorgang entspricht:
«Die starke Deformation des Randes könnte von einer
Hacke, möglicherweise dem angeblich benutzten Zimmermannshammer,
herrühren.» (Pernicka, Wunderlich, in AiSA
1/02, S. 30, H.v.m.)
Man glaubt offenbar den Findern nicht. Doch warum sollten sie lügen, wenn
sie doch insgesamt geständig sind? Auch eine Erinnerungslücke scheint
mir - bei diesem für die Finder wohl aufregendem Augenblick - äußerst
unwahrscheinlich. Doch die Wissenschaft weiß es besser:
«Die beiden Täter hielten nach ihrer Aussage vor Gericht
die Himmelsscheibe für einen Eimerdeckel und entrissen sie mit einer groben
Metallhacke, ähnlich einem Maurerhammer, brachial dem Boden. So wurde ein
großes Segment des Goldblechs aus dem Vollmond herausgerissen, Kratzer und
Schrammen überziehen das obere Drittel der Scheibe.» (Wunderlich, in:
DGH, S. 41)
«Die starke Deformation des Randes wurde von den Schlägen
der Hacke verursacht.» (Wunderlich, ebenda,
S. 41f.)
Ein solches "brachiales" Vorgehen der "Täter" kann
ich mir selbst mit größter Anstrengung nicht vorstellen. Es mag auf
meine Vorstellungskraft nicht ankommen, doch ich meine, daß ein Mensch,
der erst stundenlang mit einer Metallsonde durch den Wald rennt, nicht wie ein
Bekloppter seinen potentiell wertvollen Fund kaputt hackt, sobald sein Gerät
endlich mal piepst. Er gräbt zwar gewiß nicht so sorgsam, wie es für
einen Archäologen wünschenswert wäre, doch solange er noch nicht
weiß, was er da dem Boden entzieht, wären derart kraftvolle Schläge,
wie sie nötig gewesen wären, um die erheblichen Deformationen des relativ
dicken und harten Bronzeblechs hervorzurufen, die Tat eines geistig umnachteten
Idioten.
Die Beurteilung, daß es sich bei der Scheibe um einen Eimerdeckel handelt,
kann sich bei den Findern doch wohl erst gebildet haben, nachdem sie
die Scheibe bereits freigelegt hatten, und nicht schon während des Ausgrabens.
Weil erstens ich mir nicht vorstellen kann, daß ein Raubgräber,
auch wenn ich sein Verhalten verurteile, so brachial dämlich sein könnte,
zweitens die geständigen Finder der Scheibe nach ihrer Aussage ein Gerät
zum Ausgraben benutzten, das nach meiner und offenbar auch nach wissenschaftlicher
Meinung solche Beschädigungen nicht hervorrufen kann (denn wieso sollte man
sonst auf der Benutzung einer "Hacke" bestehen?), drittens kein blankes
Metall zu sehen ist (vergl. Wunderlich: RG), viertens
die Deformationen am Rand der Scheibe auschließlich in jenem Bereich vorkommen,
in dem die Scheibe bereits in prähistorischer Zeit stark abgenutzt gewesen
zu sein scheint, fünftens die Beifunde offenbar keine Beschädigungen
durch die Raubgräber erfahren haben, sechstens die Randdeformationen der
Scheibe zum Teil deutlich mit den geometrischen Beziehungen korrespondiert, halte
ich die Annahme für mehr als berechtigt, daß diverse - insbesondere
die groben - vermeintlichen "Beschädigungen" bereits in prähistorischer
Zeit vorhanden waren.
Nachtrag:
In einem Interview sagt einer der Finder, Mario Renner, daß er mit seinem
Bekannten Herrn Westphal die Scheibe "mit den Fingern" über
einen Zeitraum von 4 Stunden ausgegraben hat. Er sagt ausdrücklich, daß
der Rand der Scheibe bereits beschädigt war, hier der Wortlaut:
"Dann ham wir angefangen zu buddeln mit den Fingern
und da ham wir schon gesehen, das ist Bronze. Da war aber schon der Rand beschädigt.
Muss ich dazu sagen, den hat er nicht beschädigt, der war beschädigt.
Das einzige, was Herr Westfahl gemacht hat, ist, er hat die Sonne runtergekratzt.
So dann hab ich ihm meine Selter gegeben, er hat ja viel Brand vom Vortag, hat
er sich an'n baum gesetzt und da hab ich vier Stunden das ausgebuddelt, die Scheibe."
(Mario Renner, in: Kathrin Aehnlich und Steffen Lüddemann: Eimerdeckel oder
Sensationsfund? Gesendet
im Deutschlandradio am 17.02.2005)
Die Ungereimtheit der "offiziellen" Fundgeschichte erkennt übrigens
auch der Bronzezeitspezialist Dr. Prof. Peter Schauer von der Universität
Regensburg:
"...diese auf Schatzsuche gehenden Personen sind im
Allgemeinen mit dem Überprüfen ihrer Funde - vor Ort schon! - sehr gewissenhaft
und genau und dass denen ein wie auch immer verschmutzter goldener Himmel auf
einer Bronzescheibe entgangen sein soll, ist mehr als zweifelhaft."
(Schauer, ebenda)
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