Dogma der Astronomie
Ich halte es für sehr fragwürdig, ob Sterne zur Organisation des
bäuerlichen Jahres jemals eine so hohe Bedeutsamkeit hatten, wie es in der
Astronomie behauptet wird, und wie es nun in der Arbeitshypothese von Meller/Schlosser
Eingang gefunden hat.
«Gehen des Atlas Töchter am Himmel dir auf,
die Pleiaden,
Magst du die Ernte beginnen, die Saat, wann sie wieder sinken.»
«Aber sobald die Pleiaden nun sinken, die Macht des
Orion
Und die Hyaden, gedenk, rechtzeitig das Saatland zu pflügen.»
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[Hesiod: Werke und Tage, 383-384, 615-616, übers.
nach H. Gebhard, bearbeitet von E. Gottwein] |
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Es gibt zwar viele Bauernregeln und Zitate mit Bezug zu den Sternen, darunter
auffallend häufig die Plejaden. Besonders gern wird hierbei Hesiod (ca. 700
v.Chr.), wie nebenstehend, zitiert. Doch beweisen solche Zitate und Bauernregeln
tatsächlich, daß vorzeitliche Bauern ihre Tätigkeiten zeitlich
nach den Sternen ausgerichtet haben?
Wahrscheinlicher ist doch, daß sie sich im allgemeinen nach zeitlichen
Merkmalen der örtlichen Flora und Fauna (Blüten, Früchte, Zugvögel
usw.) und im besonderen nach dem aktuellen Wetter und sonstigen Umständen
gerichtet haben, sowie außerdem durch ständige begleitende Gespräche
ihre Erinnerungen und vorausschauenden Planungen miteinander abgeglichen haben.
Die Kenntnis des Zeitlaufs
Mitteleuropa liegt in einer Klimazone mit äußerst ausgeprägten
Jahreszeiten. Selbst als heutiger Stadtmensch ist man ohne weiteres in der Lage,
die Jahreszeit auf den Monat genau aufgrund von Temperatur, Tageslänge, Blattstand
der Bäume usw. anzugeben. Ein Mensch der Bronzezeit, der der Natur noch viel
näher war, der täglich mit Tieren und Pflanzen in Kontakt war, ja mit
ihnen lebte, dürfte die örtliche Abfolge der Naturerscheinungen (erst
Krokusse, dann Maiglöckchen usw.) auswendig gekannt haben; ein solcher Mensch
dürfte den Jahreslauf gewissermaßen "im Blut" gehabt haben,
zumal diese Erscheinungen auch das übliche Tagesgespräch gewesen sein
dürften ("Schau, die Krokusse sprießen" - "Dann kommen
gewiß bald die Maiglöckchen" usw.).
Ein Bauer der Vorzeit dürfte solches Wissen "mit der Muttermilch
aufgesogen" haben (also in seiner Kindheit hundertfach und jedes Jahr in
gleicher Abfolge gehört, nachgesagt und miterlebt haben), so daß er
also ganz genau wußte, ja gleichsam fühlte, wann es Zeit war, zu pflügen,
zu sähen, zu ernten, oder sonst eine bäuerlich wichtige Tätigkeit
in der richtigen Reihenfolge auszuführen. All dies dürfte ihm gewissermaßen
selbstverständlich gewesen sein, und es erscheint mir absurd zu glauben,
daß er in dieser Hinsicht auf die Anweisungen einer sternebeobachtenden
"geistigen" Elite angewiesen gewesen sein könnte.
Die Kenntnis der Sterne
Zudem eignen sich die Sterne nicht zur Taxierung irgendwelcher Termine des
bäuerlichen Jahres, und zwar aus dem einfachen Grund, weil man einen freien
Blick zum Himmel benötigt, um dort irgend etwas erkennen zu können.
In unseren Breiten kommt es durchaus vor, daß wochenlang kein nächtlicher
Blick zum klaren Himmel möglich ist. Eine Kultur, die auf eine stellare Bestimmung
je aktueller Saat- und Ernte-Termine angewiesen gewesen wäre, wäre über
kurz oder lang verhungert.
Die vielfältig nachgewiesenen Bauernregeln mit Sternbezug (etwa: "Die
Plejaden in der [Abend-] Röte, der Ochse vor den Pflug."), und auch
die Schriften von Hesiod, geben ein klares Zeugnis davon ab, daß bereits
vorzeitliche Bauern den regelmäßigen Lauf der Sterne kannten, mit anderen
Worten: daß Sterne und deren Positionen zu bestimmten Jahreszeiten zum Allgemeinwissen
gehörten, und daß allen klar war, daß und wie sich auch hinter
den Wolken die Sterne entsprechend weiterbewegten. Die Bauernregeln bedeuten also
nicht, daß man sich nach den Sternen gerichtet hätte, sondern sie bedeuten,
daß sogar Bauern (also Menschen, deren vorrangige Beschäftigung
nicht die Beobachtung von Sternen war) der Sternenlauf bekannt war.
Insofern eignen sich die Sterne zwar, um Termine sehr genau mitzuteilen, weil
jeder wußte, daß auch der Gesprächspartner weiß, wann im
Jahreszyklus z.B. die Plejaden in einer klaren Nacht wo genau sichtbar wären.
Naturabläufe und -zusammenhänge
«Merke du auf, sobald du des Kranichs
Stimme vernommen, Der alljährlich den Ruf von der Höh' aus
Wolken dir sendet; ringt er die Mahnung doch zum Säen, verkündet des
Winters Schauer und nagt am Herzen dem Mann, der Rinder entbehret.»
«Bald darauf kommt die Schwalbe,
die Pandionide, den Menschen Neu zu Gesicht, früh klagend, sobald sich erhoben
der Frühling. Reben schneide, noch ehe sie naht; so ist es das Beste.»
«Wenn zur Blüte die Distel nun
kommt, und die schwirrende Grille Aus dem Verstecke des Baus
nie lässig das tönende Liedchen Unter den Schwingen zur Zeit des erschlaffenden
Sommers herabgießt, Dann sind Ziegen bei weitem am fettesten, Trauben am
besten, Weiber verlangender dann, obschon am schwächsten die Männer.»
«Andere Fahrt noch ist für die Sterblichen Möglich
- im Frühling: Wenn, wie groß auftretend die Krähe die Spuren
zurücklässt, Ebenso groß an den Wipfeln der Feigenbäume
die Blätter Sichtbar werden dem Mann, dann wird zugänglich
die Meerflut.»
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[Hesiod: Werke und Tage, 448-451, 568-570, 582-586,
678-681, übers. nach H. Gebhard, bearbeitet von E. Gottwein. H.v.m.] |
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Doch um diese Regeln auch bei bewölktem Himmel anwenden zu können,
ist weiteres Wissen erforderlich, nämlich jenes mannigfaltige Wissen um Naturabläufe
und -zusammenhänge, das man in einen prägnanten Spruch nicht hineinzuzwängen
vermag. Bei den Bauernregeln mit Sternbezug handelt es sich daher kaum um Direktiven,
sondern eher nur um griffige Darstellungen, um kurz und knapp auf einen weit umfassenderen
Zusammenhang hindeuten zu können. Gerade bei Hesiod finden wir übrigens
- im gleichen Text - eine ganze Reihe solcher Naturphänomene aufgelistet.
konstruierter Unsinn
In der einer anderen Stelle empfiehlt Hesiod ausdrücklich, sich beim Schlagen
von Bäumen nach einem Naturphänomen zu richten, nämlich dem Fall
des Laubs, bzw. er erklärt den ganzen Zusammenhang: weil der Baum dann zu
sprossen aufhört, und der Wurmbefall nachgelassen hat. Die Erwähnung
des Sterns Sirius ist hierbei offensichtlich eine reine Nebensache der Gleichzeitigkeit:
«[...] - es weilt ja des Sirius Stern
dann
Kurz nur über den Häuptern dem Tode verfallener Menschen
Während des Tags und genießt weit lieber die Stille der Nächte
-
Dann ist der Baum vom Wurme befreit, sobald ihn das Eisen
Fällt; da zur Erde die Blätter er streut und zu sprossen nun
aufhört;
Dann sollst fällen das Holz du, bedacht auf die Werke der
Jahreszeit.»
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[Hesiod: ebenda, 448-451. H.v.m.] |
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Eine halbwegs passende Bauernregel könnte nun lauten: "Sirius
am Horizont, die Axt an den Baum." Aus solch einer Bauernregel nun
zu schließen, daß der Stern Sirius "wichtig" zur Bestimmung
des Termins zum Fällen der Bäume sei, ist nicht nur zu weit gegriffen,
sondern schlicht falsch - und ich hoffe, daß man durch diesen konstruierten
Unsinn meinen Gedankengang versteht...
Kurz: Das Gebetsmühlenartig vorgetragene Dogma, daß
die Sterne in der Antike "wichtig" gewesen seien zur Bestimmung bäuerlicher
Termine, gehört in das Reich der Märchen.
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